Ohne Praxen kein Fundament
Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg tagte in Potsdam
Die Vertreterversammlung (VV) der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg in Potsdam am 19. September hat erneut gezeigt: Die ambulante Versorgung droht bei politischen Entscheidungen an den Rand gedrängt zu werden. Gesundheitsministerin Britta Müller (BSW) will 460 Millionen Euro aus dem Sondervermögen des Bundes in die Gesundheitsversorgung lenken – doch vorgesehen sind die Mittel vor allem für kommunale MVZ und Polikliniken.
Damit entsteht der Eindruck, als seien niedergelassene Ärztinnen und Ärzte eine Randnotiz. KVBB-Vorsitzende Catrin Steiniger widersprach dem vor der VV entschieden: „Ohne eine starke ambulante Säule wird das System instabil. Wir brauchen Praxen, die zukunftsfähig sind – mit moderner Ausstattung, in Ärztehäusern, und so organisiert, dass junge Kolleginnen und Kollegen darin ihre berufliche Perspektive sehen.“
Die KVBB-Chefin machte deutlich: Wenn niedergelassene Praxen von der Förderung ausgeschlossen bleiben, werden genau jene Strukturen geschwächt, die schon heute den Großteil der Patientenversorgung tragen. Hohe Arbeitsbelastung, fehlende Wertschätzung und wachsende bürokratische Hürden setzten den Praxen ohnehin zu. Eine Politik, die Investitionsmittel ausschließlich in kommunale Träger lenkt, verschärfe dieses Ungleichgewicht.
Es gehe nicht darum, MVZ oder Polikliniken kleinzureden, so Frau Steiniger. „Auch sie haben ihren Platz in der Versorgungslandschaft. Aber Brandenburg ist vielfältig. Genau diese Vielfalt macht eine verlässliche Versorgung aus. Wer nur eine Versorgungsform stützt, gefährdet das Ganze.“
Dr. Karin Harre, Hausärztin aus Walsleben, pflichtete bei: „Was stellt sich die Ministerin denn vor, wer in diesen MVZ arbeiten soll? Gerade bei uns auf dem platten Land wird es immer schwieriger, Kolleginnen und Kollegen zu finden.“ Um eine differenzierte Betrachtung warb Dr. med. Karsten Mydlak, Facharzt für Laboratoriumsmedizin aus Cottbus: „Wir haben den Sicherstellungsauftrag und werden es uns nicht leisten können, in der Versorgung auf MVZ verzichten zu können.“
„Hier geht es nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, sondern um eine faire Beteiligung der ambulanten Praxen an den 460 Millionen Euro. Alles andere wäre nicht nur eine politische Schieflage, sondern ein Risiko für die Gesundheitsversorgung im ganzen Land“, ordnete Frau Steiniger ein.
Orientierungswert
Neben der Debatte um Investitionen beschäftigte die VV auch die wirtschaftliche Lage der Praxen. Zwei Tage vor der Versammlung hatten die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband mitgeteilt, dass sich der bundesweite Orientierungswert (OW) im Jahr 2026 um 2,8 Prozent auf 12,7404 Ce nt erhöht. Nach dem OW berechnen sich die Preise für alle vertragsärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen.
„Ich bin persönlich mit diesem Verhandlungsergebnis überhaupt nicht zufrieden. Leider stellt die OW-Anpassung um 2,8 Prozent zwar eine finanzielle Verbesserung dar, vertieft aber die wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den Praxen, da Lohnnebenkosten und sonstige Kosten sowie die ärztliche Leistung selbst nicht angemessen berücksichtigt werden. Das seit Jahren bestehende Defizit steigt weiter. Hier sehe ich gegenüber der finanziellen Unterstützung der Krankenhäuser eine weitere Ungleichbehandlung,“ ordnete Frau Steiniger das Ergebnis ein.
Für Brandenburg bedeute die OW-Steigerung nach ersten Berechnungen zwar ein Plus von rund 29 Millionen Euro. Doch angesichts steigender Personal-, Energie- und Sachkosten bleibe es ein Tropfen auf den heißen Stein.
Hybrid-DRG
Unter den Tagesordnungspunkt von Dr. Stefan Roßbach-Kurschat, stellvertretender KVBB-Vorsitzender, fiel ein Antrag zu Hybrid-DRG. Die VV beauftragte den KVBB-Vorstand, in Verhandlungen mit den Krankenkassen die Vergütung für die Vor- und Nachbehandlung von Hybrid-DRG-Fällen mit Nachdruck einzufordern.
Hintergrund ist, dass die operative Versorgung in Hybridfällen zwar geregelt ist, die prä- und postoperative Betreuung aber bisher weitgehend unbeachtet bleibt. Als Übergangslösung können Leistungen wie bei ambulanten Operationen abgerechnet werden.
Besonders problematisch ist die Nachsorge: Patientinnen und Patienten erscheinen häufig unangekündigt und ohne Arztbrief in den Praxen, wo von Wundkontrollen über Fädenziehen bis zum Komplikationsmanagement alles erwartet wird – ohne gesicherte Vergütung. Aus Sicht der VV liegt die Verantwortung grundsätzlich beim Operateur. Wenn dieser die Nachbehandlung abgibt, müsse die Honorierung ebenso klar geregelt werden wie die Schnittstellen zur hausärztlichen Betreuung.
Eine verbindliche Klärung steht jedoch aus.
Digitales Serviceportal
Zum Abschluss der VV präsentierte der stellvertretende KVBB-Vorsitzende Holger Rostek ein zentrales Zukunftsprojekt: Gemeinsam mit den KVen Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt entsteht derzeit ein neues digitales Serviceportal, das ab 2026 an den Start gehen soll.
Es bündelt die bisherigen Funktionen der drei KVen und erweitert sie um praxisnahe Angebote. Geplant sind unter anderem die digitale Abgabe der Vierteljahreserklärung, ein flexibler Antrags- und Formularbereich, der nur die wirklich notwendigen Angaben abfragt, sowie ein Auswertungstool, mit dem Ärztinnen und Ärzte ihre Abrechnungsziffern im Vergleich zur Fachgruppe einsehen können. Auch der Honorarbescheid wird künftig online abrufbar und digital auswertbar sein. Ein weiterer Schritt ist die Ablösung der Fax-Kommunikation: Rückfragen zur Abrechnung sollen künftig vollständig digital über das Portal laufen.
Das neue Angebot ist TI-kompatibel und damit vorbereitet auf die nächste Ausbaustufe der Telematikinfrastruktur (TI 2.0).