VV setzte klare Akzente
Versorgung sichern, Strukturen stärken, Digitalisierung belastbar machen
Bei der Vertreterversammlung der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) am 28. November 2025 in Potsdam wurden die großen Baustellen der ambulanten Versorgung sehr konkret benannt. Alle drei Vorstände nutzten ihre Berichte für klare Botschaften: Ohne realistische Notfallstrukturen, eine koordinierte Weiterbildung des Nachwuchses und eine zuverlässige Telematikinfrastruktur wird es in Brandenburg eng für die medizinische Versorgung.
„Diese Reform ist nötig, aber so nicht machbar“
Gleich zu Beginn fand KVBB-Vorstandsvorsitzende Catrin Steiniger deutliche Worte zur geplanten Notfallreform. Grundsätzlich stehe die KVBB zu dem Ziel, die Patientensteuerung zu verbessern und die Reform eng mit der Krankenhausreform zu verzahnen. Der vorliegende Gesetzentwurf sei dazu aber ungeeignet.
Die Kritik richtet sich vor allem gegen zwei Punkte, die aus Sicht der KVBB an der Realität vorbeigehen.
Erstens, ein flächendeckender 24/7-Fahrdienst:
Die im Entwurf vorgesehene rund um die Uhr verfügbare aufsuchende Notfallversorgung zusätzlich zur regulären ambulanten Versorgung ist für Frau Steiniger nicht umsetzbar. Das dafür benötigte Personal gebe es schlicht nicht. Ärztinnen und Ärzte könnten neben der Tätigkeit in der Praxis nicht noch zusätzliche, dauerhaft parallele Dienste übernehmen. Der Eindruck, es lasse sich problemlos eine weitere Versorgungssäule etablieren, sei irreführend.
Zweitens, zu viele Integrierte Notfallzentren (INZ):
Auch die geplante Zahl der INZ hielt die KVBB-Chefin für überzogen. „Wenn die Anzahl der Zentren das heutige Angebot noch übersteigt, wird der enorme Personalbedarf voll auf unsere ambulanten Strukturen durchschlagen. Dabei ist es schon heute sehr schwierig, bestehende Strukturen zu besetzen“, so Frau Steiniger.
Die Folgen dieser Planungen beschrieb Frau Steiniger deutlich: In der Öffentlichkeit entstehe das Bild, es werde zusätzlich etwas aufgebaut. Tatsächlich drohe aber eine Überforderung des Systems. Die KVBB setze dem eine andere Vorstellung entgegen. Im Mittelpunkt stehe eine gezielte, gut gesteuerte Versorgung, die sich an Bedarf und vorhandenen Ressourcen orientiert.
Fachkräfte, Delegation, Finanzierung: „Gesamtgesellschaftliche Aufgabe“
Parallel zur Notfallreform stellte Frau Steiniger die Frage nach den Menschen, die all diese Strukturen tragen sollen. Um Fachkräfte zu gewinnen, biete sich aus ihrer Sicht nur ein Weg: Ausbildung attraktiver machen, klare Berufsbilder schaffen und über angemessene Bezahlung sprechen.
Ein Thema in der VV waren daher die neuen Delegationsberufe wie der Physician Assistant. Hier bemängelte Frau Steiniger fehlende Einheitlichkeit. Ohne klar definiertes Curriculum und einheitliche Qualifikationsstandards wisse niemand genau, welche Kompetenzen mitgebracht werden. Wer Delegation ernst meine, brauche verlässliche Rahmenbedingungen.
Ein weiterer Punkt war die Finanzierung. Der Aufbau neuer Strukturen dürfe nicht allein aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung und damit über den EBM geschultert werden. Frau Steiniger erinnerte daran, dass es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, wenn zusätzliche Aufgaben an die ambulante Versorgung übertragen werden.
Nachwuchs steuern, Versorgung sichern
Der stellvertretende Vorsitzende Dr. Stefan Roßbach-Kurschat richtete den Blick auf die Versorgung von morgen. Sein Thema: Wie kann die KVBB die ärztliche Ausbildung so mitgestalten, dass sie die ambulante Versorgung langfristig trägt.
Sein Grundsatz war klar: Wer den eigenen Nachwuchs früh bindet, sichert die Versorgung. Die KVBB setzt dabei auf eine durchgehende Begleitung vom ersten Semester bis zur Facharztprüfung.
Cottbus als Baustein der Nachwuchssicherung
Als wichtigen Mosaikstein bezeichnet Dr. Roßbach-Kurschat die neue Universitätsmedizin in Cottbus. Zwar lösen 36 Studienplätze pro Jahr und eine Landarztquote zunächst keine akuten Versorgungsprobleme. Für Dr. Roßbach-Kurschat ist aber entscheidend, die Studierenden früh an die ambulante Versorgung heranzuführen und in die Fläche zu bringen.
Psychotherapie in der Praxis absichern
Einen zweiten Schwerpunkt legte Dr. Roßbach-Kurschat auf die Weiterbildung in der Psychotherapie. „Durch die neue Weiterbildungsordnung verschiebt sich ein Teil der Finanzierung von den Institutsambulanzen in die Praxen“, so der KVBB-Vize. „Damit Praxisinhaber durch Weiterbildungsassistenten nicht in Plausibilitätskonflikte geraten, können zukünftig die Prüfzeiten auf das 1,5-fache der bisherigen Referenzzeiten angehoben werden.“
Seit Oktober gelten außerdem neue Richtlinien, die die sektoren- und berufsgruppenübergreifende Zusammenarbeit erleichtern, etwa mit Ergotherapeuten. Ziel ist es, die psychotherapeutische Versorgung zu stärken, ohne Praxen zusätzlich zu belasten.
Koordinierung aus einer Hand
Strategisch am weitesten in die Zukunft reichte der Blick auf die Weiterbildungsförderung. Brandenburg verfügt bereits mit der Koordinierungsstelle Weiterbildung Allgemeinmedizin (KoWAB/KoStA) über ein etabliertes Instrument. Die Idee von Dr. Roßbach-Kurschat ist es, diese Struktur im Rahmen der KoWAB/KoStA auf die fachärztliche Weiterbildung (KoStAF) auszuweiten.
Er plädierte dafür, die Koordinierung in enger Kooperation mit der Landesärztekammer zentral bei der KVBB anzusiedeln: „So lassen sich Doppelförderungen vermeiden und Transparenz herstellen. Die zentrale Frage ist dabei: Wo befinden sich die Weiterbildungsassistenten und die Weiterbilder? Unser Ziel ist eine sektorübergreifende, nahtlose Koordinierung.“ ,
Ein Blick nach Thüringen zeige, dass ein solches Modell funktionieren kann. Dort werden Studierende und Weiterbildungsassistenten über ein Kompetenzzentrum zentral erfasst und individuell begleitet. Einen ähnlichen Standortvorteil möchte Dr. Roßbach-Kurschat auch für Brandenburg schaffen.
TI im Stresstest
IT-Vorstand Holger Rostek nahm die Telematikinfrastruktur in den Fokus. Kurzfristig hatte er eine Erleichterung zu vermelden, mittel- und langfristig jedoch deutliche Anforderungen an Politik, Gematik und Industrie.
Zunächst die pragmatische Nachricht: Die Frist für den Austausch der SMC-B-Karten und Heilberufsausweise mit alter RSA-Verschlüsselung wurde bis zum 30. Juni 2026 verlängert. Ein vollständiger Tausch bis Ende 2025 galt als unrealistisch, daher die Verlängerung als Übergangszeit.
Die Tücke der 99,9 Prozent
Deutlich kritischer äußerte sich Herr Rostek zur behaupteten Betriebsstabilität der TI. Eine nominelle Verfügbarkeit von 99,9 Prozent pro Einzelkomponente klinge gut. „In der Praxis werden jedoch mehrere Systeme hintereinandergeschaltet. Die rechnerische End-zu-End-Verfügbarkeit sinkt damit spürbar, auf etwa 99,2 oder 99,3 Prozent“, erläuterte Herr Rostek.
Übersetzt bedeutet das: Die Telematikinfrastruktur könnte theoretisch bis zu zwei volle Tage im Jahr komplett ausfallen, ohne dass der zugesicherte Servicelevel verletzt wäre. „Angesichts der verpflichtenden Nutzung von Anwendungen wie elektronischer Patientenakte und E-Rezept ist das nicht akzeptabel. Wir brauchen dringen deine höhere Gesamtqualität des Systems, an der sich alle Beteiligten orientieren sollen.“
Resilienz stärken, Praxen entlasten
Störungen in der TI sind längst nicht mehr nur ein technischer Ärger, sondern können den gesamten Praxisablauf lahmlegen. Deshalb drängte Herr Rostek auf mehr Resilienz, und zwar nicht nur bei der Gematik, sondern auch bei den Praxisverwaltungssystemen und der zugrunde liegenden Internetinfrastruktur. Um Praxen im Störungsfall zu entlasten, empfiehlt er allen Praxen, den Informationskanal der Gematik zu abonnieren, etwa den WhatsApp-Service.
Klare Botschaft: Reformen nur mit der Basis
Die Vertreterversammlung in Potsdam hat eines deutlich gezeigt: Die KVBB will Reformen nicht blockieren, sondern mitgestalten. Die Vorstände haben aber ebenso klar gemacht, dass neue Strukturen an der Wirklichkeit der Versorgung gemessen werden müssen.
Ob es um Notfallreform, Nachwuchssteuerung oder Digitalisierung geht: Ohne realistische Personalansätze, verlässliche Finanzierung und funktionsfähige technische Systeme ist kein Konzept tragfähig. Die KVBB wird diese Position in den kommenden Monaten in die politischen und fachlichen Diskussionen einbringen.