„Wir müssen die Gestaltungshoheit behalten“
Der neue Koalitionsvertrag verspricht tiefgreifende Veränderungen in der ambulanten Versorgung. Vom verbindlichen Primärarztsystem über Honorarsteuerung und Bürokratieabbau bis hin zu einer erweiterten Rolle der Terminservicestellen: Die politischen Pläne werden auch die Arbeit in den ambulanten Praxen in Brandenburg verändern. Im Interview ordnet Catrin Steiniger, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), die Vorhaben der neuen Bundesregierung ein.

Frau Steiniger, mit dem geplanten Primärarztsystem will die neue Regierung die Versorgung steuern und den Zugang zu Fachärztinnen und Fachärzten stärker regeln. Was halten Sie von diesem Vorhaben?
Die Idee, Patientinnen und Patienten besser zu lotsen, ist grundsätzlich nachvollziehbar – besonders mit Blick auf begrenzte Ressourcen. Aber: Steuerung darf nicht zur Bürokratiefalle werden und implementiert für mich auch Verbindlichkeiten für Patientinnen und Patienten. Wenn Hausärztinnen und Hausärzte künftig als Gatekeeper agieren sollen, darf kein bürokratisch verursachter Flaschenhals als Zugang zum Facharzt entstehen. Wichtig ist, dass auch fachärztliche Kolleginnen und Kollegen die primärärztliche Funktion übernehmen können – was viele von ihnen längst tun.
Die Koalition verspricht Entlastung bei der Bürokratie und eine „massive“ Reduzierung von Dokumentationspflichten. Haben Sie daran Erwartungen – oder eher Zweifel?
Beides. Wir fordern seit Jahren spürbare Entlastung. Jede Initiative in diese Richtung begrüßen wir. Meine langjährige Praxiserfahrung hat mir aber auch gezeigt, dass in den letzten Jahren eher mehr Dokumentationspflichten entstanden sind. Deshalb braucht es Mut, sich wirklich von Überregulierung zu verabschieden. Ein Beispiel: Wenn es eine Bagatellgrenze von 300 Euro bei Regressen geben soll, ist das ein Schritt – aber nur einer. Am Ende muss sich zeigen, ob der Bürokratieabbau im Alltag der Praxen ankommt.
Besonders für die ambulante Versorgung auf dem Land ist der Vertrag voller Versprechen: In unterversorgten Regionen soll es Honorarzuschläge geben, und die Entbudgetierung soll geprüft werden. Wird das reichen, um Versorgungsengpässe zu verhindern?
Es ist ein kleiner Anfang. Eigentlich wird nur eine komplette Entbudgetierung aller ambulant erbrachten Leistungen ein echter Gamechanger werden.
Zulassungsmodalitäten sind komplex und auch in rein rechnerisch überversorgten Regionen werden die ärztlichen Leistungen benötigt und in Anspruch genommen. Wir warnen deshalb vor möglichen Honorarabschlägen in überversorgten Gebieten. Das würde zu einer Reduzierung des Leistungsangebots in den Praxen führen und folglich zu einer schlechteren Patientenversorgung. Aber Geld allein wird das Problem nicht lösen. Wir brauchen flexible Lösungen und Gestaltungsspielräume – und vor allem: eine echte Aufwertung des ambulanten Arbeitens. Dafür müssen junge Ärztinnen und Ärzte begeistert werden. Das gelingt nur, wenn wir als Berufsstand mitreden dürfen und die Versorgung vor Ort gemeinsam gestalten können. Hier müssen Politik und Selbstverwaltung enger zusammenarbeiten als bisher.
Frau Steiniger, wenn Sie heute nochmal in Brandenburg in eigener Praxis starten würden – was würden Sie sich von der Politik konkret wünschen, damit das gelingt?
Ich würde mir wünschen, dass ich mich auf meine Patientinnen und Patienten konzentrieren kann – nicht auf Formulare, Regresse oder IT-Probleme. Dass ich gut qualifizierte Fachkräfte finde und junge Kolleginnen und Kollegen, die mit Freude und Mut in die ambulante Versorgung gehen. Und dass ich das Gefühl habe: Ich bin Teil eines Systems, das mich trägt und fördert und nicht ausbremst. Dazu bedarf es einer Verlässlichkeit in der Zusammenarbeit der Politik und der Selbstverwaltung.
Welchen Hinweis geben Sie daher der neuen Bundesgesundheitsministerin mit auf den Weg?
Hören Sie auf die Menschen, die täglich im Gesundheitswesen arbeiten – nicht nur auf Zahlen und Berichte. Die Realität in den Praxen unterscheidet sich oft deutlich von der politischen Planung. Wenn Reformen Wirkung entfalten sollen, brauchen wir praktikable Lösungen, die vor Ort funktionieren. Dafür stehen wir bereit und haben Lösungsvorschläge im Gepäck. Wir brauchen weniger Zentralismus, mehr Vertrauen in die Selbstverwaltung – und vor allem: Entscheidungen, die den Alltag in der Versorgung wirklich verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch.